Schenk mir dein Herz ! ( zeit.de)
Schenk' mir dein Herz
Die Zahl der potenziellen Organspender in Deutschland ist im europäischen Vergleich sehr niedrig. Eine Gesetzesänderung könnte die Situation verbessern. Ein Leserartikel

Ein Arzt im Johns Hopkins Hospital in Baltimore wartet auf eine Niere für eine Transplantation. | ©Brendan Smialowski/AFP/Getty Images
Auf der Kardio-Wach-Station des Universitätsklinikums Heidelberg liegen Patienten, die auf der Hochdringlichkeitsliste für eine Herztransplantation stehen. Durchschnittlich elf Monate müssen sie auf ein Spenderherz warten. Als Medizinstudentin im sechsten Semester habe ich regelmäßig mit diesen Herzkranken zu tun. Besonders schlimm finde ich, dass viele noch verhältnismäßig jung sind.
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein 55 Jahre alter Familienvater, dessen Sohn Medizin studiert. Seit über 20 Jahren herzkrank, hat der Patient eine Odyssee durch Spezialkliniken in ganz Deutschland hinter sich. Er weiß, dass eine Herztransplantation trotz der Risiken die einzige Rettung für ihn ist.
Der vorsichtige Optimismus, mit dem dieser Patient seiner Zukunft entgegen sieht, hat mich sehr beeindruckt. Er vertraut darauf, schnell genug ein Spenderherz zu bekommen. Und das, obwohl er den Tod eines Zimmernachbarn miterlebt hat, für den nicht rechtzeitig ein passendes Organ gefunden werden konnte.
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 439 Herzen verstorbener Organspender transplantiert. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung ergibt sich für alle etablierten Spenderorgane (Leber, Niere, Lunge, Herz und Pankreas) ein Wert von 12,5 verstorbenen Organspendern auf eine Million Einwohner. In Kroatien kommen auf eine Million Einwohner 34,3 verstorbene Organspender, in Belgien sind es 29.
Die beiden letztgenannten Länder haben gesetzlich die Widerspruchslösung verankert: Jeder Bürger ist potenzieller Organspender, sofern er sich nicht zu Lebzeiten explizit dagegen ausspricht. Diese Regelung wird in der Mehrheit der europäischen Länder praktiziert. Laut dem deutschen Transplantationsgesetz gilt die Entscheidungslösung, wonach jeder Bürger aktiv in die Organspende einwilligen oder ihr widersprechen muss – oder sich einer Erklärung vollständig entziehen kann.
Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod
Aktuell besitzt ein Viertel der deutschen Bevölkerung einen Organspendeausweis – aber nach der repräsentativen Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Jahr 2010 wären drei Viertel bereit, nach ihrem Tod Organe und Gewebe zu spenden.
Ich respektiere es, wenn sich Menschen aus religiösen oder persönlichen Gründen gegen eine Organspende entscheiden. Die Auffassung, dem mündigen Bürger sei nicht zuzumuten, sich mit dem eigenen Tod und dem nachfolgenden Umgang mit dem Körper auseinanderzusetzen, teile ich jedoch nicht. Aufklärung ist sinnvoll und wichtig. Als angehende Ärztin möchte ich meinen Teil dazu beitragen, das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende auszubauen.
Trotzdem glaube ich nicht, dass die verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema dazu führen wird, dass alle einen Organspendeausweis bei sich haben werden. Zwar haben viele Mitbürger den Wunsch, anderen zu helfen, und ebenso den Wunsch, im Zweifelsfall selbst ein Spenderorgan zu erhalten. Aber sie vermeiden es, aktiv damit umzugehen, indem sie den Ausweis ausfüllen.
Die Differenz zwischen ausgewiesenen Organspendern und passiver Akzeptanz der Organspende erfüllt mich am Patientenbett mit Verzweiflung und Ohnmacht. Ich würde mich freuen, wenn die deutsche Gesetzgebung angesichts des Mangels an Spenderorganen die Widerspruchslösung auch in Deutschland einführen würde.
Der zu Beginn beschriebene Patient hat in der Zwischenzeit ein neues Herz bekommen und sich so gut erholt, dass er an der Promotionsfeier seines Sohnes teilnehmen konnte.